Vor 35 Jahren: Befreiung des Brockens

Aus "Der Brocken – ein freier Berg"

28 Jahre waren die Berliner Mauer und der Brocken das Symbol der deutschen Teilung und des Kalten Krieges. Am 9. November 1989 reagierte die DDR-Regierung mit Reiseerleichterungen auf den Ausreisestrom und monatelange Massenproteste – die Mauer war geöffnet.

Nachdem deutschlandweit die Schlagbäume ihre Funktion verloren hatten, gab es Ende November 1989 immer noch wenige Orte, die der Öffentlichkeit vorenthalten  wurden. Dazu zählte der Brocken. Aber auch im Harz begann sich Widerstand gegen die letzte wichtige Festung der DDR zu regen.

Der Spionageberg war durch eine 1,54 Kilometer lange und 3,6 Meter hohe Mauer geschützt.

 

 

Vor allem die Einheimischen begehren auf. Das waren vor allem Heimatverbundene Wanderfreunde, die den Brocken noch aus der Zeit vor der Schließung im August 1961 kannten. Nach 28 Jahren Stillstand wollten sie den Berg aus dem militärischen Dornröschenschlaf holen und für die Öffentlichkeit zurückerobern. Ein in Ilsenburg gebildetes Komitee um Burkhard Jüttner formuliert erste politische Forderungen und trägt sie in die Öffentlichkeit.

Ende November meldet Jüttner beim stellvertretenden Vorsitzenden der Abteilung Inneres des Rates des Kreises Wernigerode schriftlich eine Demonstration in Ilsenburg mit anschließendem Marsch zum Brocken an. Termin: der erste Advent 1989.

Doch es gibt Einwände von offizieller Seite: Militärische Sperrgebiete dürfen nicht betreten werden, das könne nur in Berlin entschieden werden. Dafür sei die Zeit für die Anmeldung zu knapp.

Es kommt keine Einigung zustande. Ohne formelle Genehmigung, dafür aber mit viel Enthusiasmus, lanciert Jüttners „Komitee zur Öffnung des Brockens“ Annoncen in Bad Harzburg und lässt folgende Erklärung in den Kirchen der Region verlesen: „Macht den Brocken frei! Der Brocken ist ein nationales Symbol von hoher kultureller Bedeutung. Die Älteren haben ihn noch bestiegen, die Jüngeren kennen ihn nur von unten, denn seit Jahren wird er dem Volk der DDR vorenthalten. Dafür, dass der Gipfel wieder frei wird, möchten wir mit einem Marsch zum jetzt zugänglichen Teil des Brockens demonstrieren. Macht mit! Treffpunkt: Ilsenburg Markt, Sonntag, den 3.12.1989, 9 Uhr. Marschroute: Ilsetal, Ilsefälle, Namenstein, Eiserner Handweiser, Kreuzung Chaussee-Brockenstrasse.“

Der Zugang endet offiziell allerdings schon lange vor dem Brocken, an den Bahnschienen. Ab dort lassen Grenzsoldaten niemanden mehr durch. Eine missverständliche Meldung im Lokalteil des SED-Zentralorgans „Volksstimme“ sorgt drei Tage vor der geplanten Demonstrationen für weitere Irritationen. Dort heisst es, „dass durch Veränderungen des Grenzgebiets wesentliche Teile des Brockengebiets jetzt zugänglich seien“.

Nicht aber das Plateau selbst. Die Überschrift lautet dagegen: „Brockentour kein Traum mehr“. Zeitgleich befestigt der Schierker Elektromeister Werner Vesterling einen handgemalten Zettel im Schaufenster seines Ladens: „Neues Forum. Demonstration am 3.12.89, Thema Öffnung des Brockens für Jedermann. Treffpunkt Schierker Marktplatz, Kirche, Karl-Marx-Str., Abmarsch 10 Uhr.“ Damit ist die Konfusion nun endgültig perfekt. Auch für die DDR-Oberen.

Durch einen glücklichen Zufall hatte ich damals vom Sternmarsch zum Brocken erfahren. Für mich war klar, dass ich dabei sein wollte. Bei schönstem Wetter fuhr ich früh über den offenen Grenzübergang zwischen Eckertal und Stapelburg. Damals benötige ich noch den Mehrfachberechtigungsschein, mit dem ich 30 Mal im Jahr in die DDR einreisen konnte. Die Visumpflicht wurde offiziell erst zu Weihnachten 1989 aufgehoben.

Von Ilsenburg zog ich gemeinsam mit vielen anderen durch das Ilsetal. Kurz vor Erreichen der Brockenstraße lag Knöchel-hoher Schnee. Von dort aus ging es im Gänsemarsch aufwärts.

Als wir die Brockenstraße erreichten, trauten wir unseren Augen kaum: Dort standen DDR-Grenztruppen mit einer Gulaschkanone und versorgten die Brockenwanderer mit Bockwurst. Von dort aus ging es weiter, auf der linken Seite lag der Wurmberg mit seinem „Nato-Turm“ vor uns. Obwohl wir noch nicht oben angekommen waren, kamen uns zahlreiche Wanderer entgegen. Sie hatten aufgegeben, weil das Brockentor verschlossen war. In Anbetracht der vielen „Nachrücker“ fassten die meisten neuen Mut und kehrten ein weiteres Mal zu Brockentor zurück.

Das Brockentor war ein massives Eisentor, an das auf beiden Seiten die 3,66 Meter hohe Brockenmauer anschloss. 

Im Innern des abgegrenzten Areals waren Sicherheitskräfte, die sich in die Gebäude zurück gezogen hatten. Vor dem Tor verhandelte Major Manfred Schulz mit den Wanderern, die an diesem Tag Demonstranten waren. Die Verhandlungen wurden mehrfach unterbrochen, weil Manfred Schulz mit „Berlin“ telefonierte, um sich Instruktionen einzuholen. Am Ende fasste er selbst die längst unumgängliche Entscheidung: Das Tor sollte für Kleingruppen geöffnet werden.

Brockenöffnung
Freier Brocken, freie Bürger. © Hansjörg Hörseljau.

In Anbetracht der nachdrückenden Menschen vor dem Tor erwies sich diese Entscheidung sofort als überholt – alle Demonstranten strömten auf das Brockenplateaux und genossen dort oben einen bis heute unvergesslichen Tag.

Freudenfest am 3. Dezember 1989 auf dem Brocken © Hansjörg Hörseljau.

In den folgenden Jahren hat sich der Brocken verändert und wurde von vielem Schutt und Müll befreit. Die russischen Streitkräfte hatte dort bis 1994 den wichtigsten Stützpunkt ausserhalb von Russland, bevor sie ihn am 30. März 1994 verließen. Die ehemalige russische Brockeneinheit wurde nach Kaliningrad verlegt und spioniert von dort aus den „Westen aus. Von dort aus ist sie heute in den Angriffskrieg gegen die Ukraine eingebunden.

Auch im Westharz räumten die Geheimdienste aus den USA, Frankreich und England ihre Spionageberge. Ohne Zeitzeugenwissen ist davon kaum noch etwas in der Harzer Landschaft zu finden.

In meinem Brockenbuch „Der Brocken – ein freier Berg“ habe ich die historischen Ereignisse und den Wandel nach dem Mauerfall und der friedlichen Revolution festgehalten.

Auf dem Brocken wird das Gedenken an den 3. Dezember 1989 durch den Harzklub wach gehalten.

 

 

 

Die Brockenmauer
Bildband „Der Brocken – ein freier Berg“ von Hansjörg Hörseljau.

Mein Grenzübertritt am 11. November 1989 ohne Visum.

Mein erster Besuch der DDR ohne Visum am 11. November 1989.

Bereits am 10. November bin ich in Duderstadt gewesen, um die Öffnung des Grenzübergang zu beobachten und zu fotografieren. Daher entschied ich, auch am folgenden Tag (am 11. November 1989) nach Duderstadt zu fahren.

Sturm auf die Sparkasse in Duderstadt. 

 

Bereits vor Öffnung der Geschäfte tuckerten die Trabi´s und Wartburg´s zahlreich Richtung Duderstadt und die Gassen der Altstadt von Duderstadt. Besonders vor den Türen der Sparkasse sammelte sich eine große Menschenmenge. Traditionell gab es dort für jede Bürgerin und jeden Bürger das einmalige Begrüßungsgeld in Höhe von 100 Mark.

Erst danach suchten die Menschen nach Discountern und Drogeriemärkten. Dort war der Ansturm so groß, dass viele Artikel und Waren schon nach kurzer Zeit ausverkauft waren.

In den Gesichtern der Menschen war Anspannung und Glück und Freude zu sehen. Die Menschen schienen erweitert, dass am Ende die Menschen aus der DDR hin und her pendeln konnten.

Stau nach Westdeutschland. © Hansjörg Hörseljau

 

Für Menschen aus Westdeutschland galt das zu dieser Zeit noch nicht. Offiziell benötigten sie immer noch ein Visum oder den Mehrfachberechtigungsschein zum Besuch der DDR. Die Visumspflicht wurde erst zu Weihnachten 1989 aufgehoben.

Ich ging zu Fuß zum Grenzübergang nach Teistungen. Dort erlebte ich, wie grade der Puspendelverkehr zwischen den beiden Grenzübergangsstellen Gerblingerode (BRD) und Teistungen (DDR) eingerichtet wurde. In den ersten oder zweiten Bus bin ich einfach eingestiegen.

Ein Passkontroleur fragte zwischendurch, ob ausser DDR-Bürger noch andere Menschen im Bus seien? Da sich keiner meldete, waren wir kurze Zeit später in Teistungen. Von dort aus bin ich dann zu Fuß Richtung Berlingerode gelaufen, habe einfach nur gestaunt, beobachtet und fotografiert.

Stau Richtung Westen in Teistungen am 11.11.1989. © Hansjörg Hörseljau

 

Am späten Nachmittag war ich wieder in Teistungen und von dort aus ging es wieder über die Grenze zurück nach Duderstadt. Es war ein langer und bis heute unvergesslicher Tag.

 

Lange Wartezeiten Richtung Westen. © Hansjörg Hörseljau

Im Brockenbuch sind viele relevante Ereignisse festgehalten.

#brockenbuch #hoerseljau

Als Zeitzeuge gefragt: Fotograf Hansjörg Hörseljau

Am 3. Dezember 1989 bin ich das erste Mal auf dem Brocken gewesen. Zwischen Ost- und Westdeutschland war die Mauer am 9. November gefallen. Die Grenze hatte ihren Schrecken verloren und war kein Hindernis mehr. Nur der Brocken war auch 3 Wochen nach dem Mauerfall noch Sperrgebiet.

So regte sich Widerstand: Harzer Wanderfreunde riefen zu einem Sternmarsch auf den Brocken und wollten das letzte Symbol der Unfreiheit stürmen. Ich hatte mich in Ilsenburg verabredet, um mich dem Demonstrationszug anzuschließen. Nach dem langen Aufstieg sammelten sich die Menschen vor dem Brockentor und demonstrierten. Als auf der Wetterstation ein Bettlaken mit „Mauer weg“ entrollt wurde, brach Jubel aus.

Großer Jubel brach aus, als auf der Wetterstation ein Bettlaken mit „Mauer weg“ entrollt wird.
Brockenöffnung um 12.47 Uhr

Um 12.47 Uhr erreichte die Menschenmenge die symbolträchtige Öffnung des Brockentors. Die Menschen liefen die letzten Meter bis zum Brockenplateau. Sie sangen, tanzten oder bestaunten einfach nur die Aussicht an diesem wunderbaren Tag. Der Sehnsuchtsberg ist seitdem für alle Menschen frei zugänglich. Für alle, die an diesem Tag dort oben gewesen sind, war es ein unvergeßlicher Tag.

Weil an diesem Tag auch das Zentralkomitee und das Politbüro der SED zurück getreten sind, war die Brockenöffnung damals in den Medien nur eine Randnotiz.

30 Jahre später – fast doppelt so alt wie damals – bin ich auf dem Brocken als Zeitzeuge gefragt gewesen. Bisher habe ich Menschen fotografiert, die interessant sind, etwas zu sagen haben oder spannende Geschichten erzählen. Am 3. Dezember 2019 war das umgekehrt.

Fernsehteam des NDR von Hallo Niedersachsen.
Gespräch mit Hansjörg Hörseljau im MDR

Ein schönes Gespräch über die historischen Ereignisse, meine Motivation und das Brockenbuch hatte ich mit MDR Moderatorin Beatrice Schwartner:

https://www.mdr.de/kultur/radio/ipg/sendung-496318.html

Der Brocken live im MDR

Ab 5 Uhr morgens hat der MDR live vom Brocken berichtet. Moderatorin Antonia Kaloff habe ich von meinem historischen Tag am 3. Dezember 1989 erzählt.

Gegen 10 Uhr war ich mit einem Fernsehteam von Hallo Niedersachsen an dem Ort auf Spurensuche, an dem sich 1989 die Menschenmenge versammelte, um für die Freigabe des Brocken zu demonstrieren.

https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/hallo_niedersachsen/Vor-30-Jahren-Der-Mauerfall-auf-dem-Brocken,hallonds55520.html

Der Beitrag steht deutlich unter dem Sparzwang, dem das öffentlich-rechtliche Fernsehen unterworfen ist. Ein Interview eines Fotografen mit Bildmaterial anderer zu bebildern ist kaum zu überbieten. Dabei schwindet leider auch die Qualität und Glaubwürdigkeit.

30 Jahre Brockenöffnung im „heute journal“

Gegen 14 Uhr war ich dann mit dem ZDF verabredet. Im „heute journal“ vom 3. Dezember ist ein schöner Beitrag zu 30 Jahre Mauerfall am Brocken von Annegret Oster zu sehen. Dort wurden auch 10 meiner historischen Bilder gezeigt.

https://www.zdf.de/nachrichten/heute-journal/30-jahre-mauerfall-am-brocken-100.html

Erinnerung

Erinnerung hinterläßt bei vielen Menschen Spuren. Manchmal verschwinden Details oder sie wird durch Dinge ergänzt, die objektiv nicht geschehen sind.

Meine Fotos, die ich am 3. Dezember 1989 oder später gemacht habe, bleiben so, wie ich sie damals fotografiert habe. Sie sind Dokumente der Zeitgeschichte. 

Vieles von dem, was ich fotografiert habe, ist inzwischen verschwunden. Einen schönen Querschnitt über alles, was seit den 70er Jahren rund um den Brocken passiert ist, befindet sich in meinem Brockenbuch „Der Brocken – ein freier Berg“.

Der Brocken ist ein Symbol der Freiheit.

 

30 Jahre Mauerfall

Mörderische Selbstschussanlagen im Harz

Vor 30 Jahren ist die Mauer gefallen, auch im Harz. Seitdem ist nichts mehr so, wie es auch noch in „100 Jahren sein sollte“. Heute erinnert nur noch wenig, an diese vergangene Zeit, als an der Grenze im Harz die Welt zu Ende war: Städte wie Wernigerode, Halberstadt, Quedlinburg oder Nordhausen waren nur umständlich mit einem Visum und Mehrfachberechtigungsschein über den kleinen Grenzverkehr zu erreichen. Der Brocken war ohnehin gesperrt.

Spionageanlage im Harz
Auf dem Stöberhai im Südharz spionierten Franzosen und Deutsche getrennt voneinander weit in den Oste hinein.

Im Westharz waren alle hohen Berg als Spionageberge von den westlichen Geheimdiensten besetzt. An den Zäunen hingen Schilder wie „Achtung Schusswaffengebrauch“ oder „Vorsicht Minen“. Seit letztes Jahr erinnert die Spionageausstellung im Brockenhaus auf dem Brocken an dieses Kapitel des Geschichte.

Brockenöffnung
Brockenöffnung am 3. Dezember 1989 um 12.45 Uhr.

Ich bin damals an vielen Orten Zeitzeuge der historischen Ereignisse in und um den Harz gewesen. Mein Brockenbuch „Der Brocken – ein freier Berg“ zeigt die ganze Geschichte.

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